Mit Chaucers Pilgern

Nachdem ich gestern nur gerade weit genug nach Faversham hineingehumpelt bin, um dort etwas zu essen, habe ich mich dort heute etwas ausführlicher umgesehen. Der Ortskern bietet ein paar hübsche alte Häuser. Die Kirche hat die hier so übliche mit Feuersteinen besetzte Fassade, einen filigranen Turm und einen recht großen und anscheinend ziemlich alten Friedhof darum herum. Faversham liegt an einem Flussarm, der wie bei Upchurch von den Gezeiten betroffen ist. Wenn man wieder einmal nur bei Ebbe ein paar Bötchen im Schlamm liegen sieht, fällt es schwer , sich vorzustellen, dass dies noch vor rund hundert Jahren ein geschäftiger Hafen war, der sogar einst zu einer Art englischer Hanse gehörte. Vielleicht hängt das aber auch damit zusammen, dass meine Vorstellung von einem „geschäftigen Hafen“ vom Hamburger Hafen geprägt ist …
Ansonsten habe ich mich heute gedanklich darauf vorbereitet, morgen Canterbury zu erreichen und das Grab des St. Thomas of Canterbury aufzusuchen. Erst dann werde ich ein wahrer Pilger sein. In den letzten zwei Tagen habe ich mich endlich wieder etwas mit den „Canterbury Tales“ beschäftigt. Habe festgestellt, dass es gar nicht mehr so einfach ist, Mittelenglisch laut zu lesen, weil man dabei gleichzeitig englische, deutsche und französische Aussprache im Kopf haben muss.
Für morgen habe ich mich jedoch vor allem an eine Besprechung des Endes der Tales aus meiner Unizeit erinnert. Ich musste an den Sonnenuntergang denken, in dessen Licht die Pilger das erste Mal Canterbury erblicken. An die andächtige Stimmung, die die sonst so lärmende Gruppe im Zuge der letzten Geschichte – einer Predigt über Schuld und Vergebung – befällt. Daran, dass Chaucer uns am Ende seiner fragmentarischen Erzählung ahnen lässt, dass für die unterschiedlichsten Menschen mit all ihren Fehlern doch Hoffnung besteht. Womit er sie trotz aller losen Fäden zwischendrin doch abschließt, seine „Canterbury Tales“.
Morgen Nachmittag, so hoffe ich, werde auch ich auf Canterbury blicken und damit auch den letzten Schritt ihrer Reise mit Chaucers Pilgern teilen.

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